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Aufgaben und Berufsrisiken eines Oberhofpredigers

Im Tätigkeitsfeld lutherischer Oberhofprediger liefen verschiedene Aufgaben und Kompetenzen zusammen, die in ihrer Bündelung diesen Theologen außerordentlich große Handlungsspielräume eröffnen konnten, jedoch auch erhebliche Risiken für den Einzelnen bargen. Zunächst einmal waren diese Geistlichen Seelsorger und Prediger des Hofes. Als Seelsorger betreuten sie in der Regel nicht nur die Fürsten und ihre Familie, sondern den gesamten Hof. Gemäß protestantischer Frömmigkeitspraxis spielte im höfischen Leben der Gottesdienst mit der Predigt in seinem Zentrum eine wichtige Rolle – kaum ein Tag begann ohne morgendliche Andacht, keine Woche verging ohne Hauptgottesdienst; auch sahen höfische Feste stets Gottesdienste im zeremoniellen Ablauf vor. An größeren Höfen verrichteten die Hofprediger ihren Dienst für gewöhnlich nicht ohne Helfer – oft wurden sie von nachgeordneten Predigern und Diakonen bei ihren seelsorgerischen Aufgaben unterstützt; Kapellmeister und Küster halfen bei liturgischen und organisatorischen Abläufen. Der Titel „Oberhofprediger“ bezeichnete mithin die leitende Position eines Theologen in einer funktional wie hierarchisch differenzierten Gruppe von Angehörigen der Hofkapelle.

Doch reichte der Aktionsraum der Oberhofprediger meist über den engeren seelsorgerischen Aufgabenbereich hinaus. Insbesondere die Mitarbeit in politischen Gremien verlieh ihnen institutionalisierten Einfluss auf das politische und gesellschaftliche Geschehen. Mancherorts waren sie Mitglieder des Hofrates, in Territorien mit Konsistorialverfassung hatten sie oftmals Sitz und Stimme im Konsistorium. In einigen Fällen standen sie dieser hohen geistlichen Regierungsbehörde auch vor. Nicht selten berief man sie darüber hinaus in Synoden, Generalkonsistorien und besondere Kommissionen, wie solche zur Durchführung von Visitationen. Insbesondere in kleineren Territorien lässt sich beobachten, dass sich die geistlichen Aufgaben bei Hof und landeskirchliche Leitungstätigkeit in der täglichen Praxis oft überschnitten.

Viele Oberhofprediger gehörten überdies zur theologischen Elite ihres Landes, betätigten sich schriftstellerisch, lehrten an Universitäten und unterhielten enge Kontakte zu den intellektuell und politisch führenden Gestalten ihrer Zeit und entfalteten damit Wirkung weit über die Grenzen des jeweiligen Territoriums hinaus. Aufgrund ihres hohen Bildungsstandes und ihrer moralischen Vorbildfunktion wirkten Hofprediger zudem oft als Erzieher des fürstlichen Nachwuchses, in einigen Fällen übertrug man ihnen diese Aufgabe formal als Amt, in anderen wurden sie informell als Ratgeber in Erziehungsfragen angesprochen.

Überhaupt spielten Hofprediger als Berater in theologischen, politischen und sittlichen Fragen eine wichtige Rolle. Nicht nur Fürsten nutzten deren Sachverstand, sondern auch andere Mitglieder der Fürstenfamilien und Angehörige führender Regierungsbehörden. Dabei konnten die Formen variieren: mal suchte man mit den Hofpredigern das vertrauliche Zwiegespräch, in anderen Situationen zog man sie zu größeren Beratungen hinzu oder forderte schriftliche Gutachten an. Als akademisch ausgebildete und rhetorisch geschulte Experten setzten Fürsten ihre Hofprediger außerdem insbesondere in konfessionellen und kirchenpolitischen Verhandlungen als diplomatische Vertreter und Ratgeber ein.

Viele Hofprediger betrachteten es zudem als ihre Aufgabe, auf Grundlage der biblischen Überlieferung über die Lebensführung sowohl der Fürsten wie des Hofes zu wachen und für die Gesellschaft verbindliche Normen zu formulieren. Auch die Regierungspraxis wurde durchaus kritisch begleitet. Wo sie Verstöße gegen den christlichen Tugendkatalog ausmachten, reklamierten sie das Recht, durch Mahnung und Kritik korrigierend einzugreifen. Dies konnte vertraulich im Gespräch oder in der Korrespondenz wie auch öffentlich über die Predigt oder in Druckschriften geschehen.

Nicht von jedem wurde den Hofpredigern dieses Wächteramt zugestanden, insbesondere öffentliche Kritik stieß nicht selten auf wenig Wohlwollen. Immer wieder gerieten Hofprediger dadurch in Konflikte und verloren die Gunst ihrer Fürsten. Ein sonderlich hohes Maß an Obrigkeitshörigkeit kann man den meisten lutherischen Hofpredigern dabei kaum nachsagen, vielmehr beharrten sie auffallend häufig auf ihrer Kritik. Hier ist ein wichtiger Grund dafür zu finden, dass nicht wenige von ihnen ihr Amt bei Hof freiwillig aufgaben und in andere Stellungen wechselten; manch einer büßte seine Kritik auch mit Haft, Entlassung oder Ausweisung.

Riskanter noch als die Wächterfunktion konnten sich theologische Kontroversen und konfessionelle Konflikte auswirken. Als Ratgeber in Fragen der Religion, streitbare Autoren, leitende Geistliche im Ritus und Prediger in hervorgehobener Stellung exponierten sie ihre theologischen Überzeugungen besonders häufig und deutlich. Sie konnten daher auch schnell in den Verdacht der Heterodoxie, des Kryptocalvinismus oder des Kryptokatholizismus etwa, geraten, ein Vorwurf, der sie ebenfalls rasch die berufliche Position kosten, auch Hab und Gut, zuweilen gar Leib und Leben bedrohen konnte.

DVCATVS BRVNSVICENSIS fereq[ue] LVNÆBVRGENSIS, Cum adjacentibus Episcopatibus, Comit[atibus], Domin[iis]. etc. […] (Die Herzogtümer Braunschweig sowie (nahezu vollständig) Lüneburg mit angrenzenden Bistümern, Grafschaften, Herrschaften etc.) [ca.1630].

Aus: Theatrum Orbis Terrarum, sive Atlas Novus […] (Schauplatz des Erdkreises, oder Neuer Atlas), hrsg. von Willem und Joan Blaeu, Bd. 1, Amsterdam 1645.

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Die Karte zeigt in einem Maßstab von etwa 1:360.000 den von Wolfenbüttel aus regierten Teil der welfischen Besitzungen in den 1620er Jahren. Dieses Gebiet erstreckte sich vom Steinhuder Meer und Deister bis zum Elm, vom Solling bis zum Harz. Es setzte sich zusammen aus den Fürstentümern Wolfenbüttel, Calenberg und Göttingen, aus großen Teilen des Stifts Hildesheim, ferner den Grafschaften Blankenburg und Hohnstein. Daneben sind auf der Karte im Norden aber auch Besitzungen der Lüneburger Linie des welfischen Gesamthauses sowie von West nach Ost zudem die Grafschaft Schaumburg, das (sog. Kleine) Stift Hildesheim, das zu dieser Zeit lüneburgische Fürstentum Grubenhagen, die Grafschaften Wernigerode und Stolberg sowie das Stift Halberstadt zu erkennen.

Den dieser Karte zugrundeliegenden Kupferstich schuf Ende der 1620er Jahre Caspar Dauthendey († ca. 1639/40), der am Hofe des Herzogs Friedrich Ulrich in Wolfenbüttel als Mathematiker, Landvermesser, Architekt und Bauverwalter tätig war. Die Karte wurde seit Mitte der 1630er Jahre von den Amsterdamer Kartographen und Verlegern Willem Janszoon (1571-1638) und Joan (1596–1673) Blaeu in ihrem mehrteiligen „Novus Atlas“ verwendet, der unter variierten Titeln und vielfach erweitert in dichter Folge Neuauflagen erlebte. Die vorliegende Abbildung stammt aus einer Ausgabe aus dem Jahre 1645. Die Karte fand jedoch in leicht modifizierter Form auch Aufnahme in anderen Kartenwerken jener Zeit. In den 1640er Jahren nutzte sie der Verleger Johann Janssonius (1588-1664), größter Konkurrent der Familie Blaeu, für seine Werke, später dann auch Frederik de Wit (1610-1698).

Weiterführende Literatur: Fritz Hellwig: Caspar Dauthendey und seine Karte von Braunschweig, in: Speculum Orbis. Zeitschrift für alte Kartographie und Vedutenkunde 2/1 (1986), S. 25-34.